Experteninterview – Smart Grids – Flexibilität bringt Effizienz und Wirtschaftlichkeit

Experteninterview – 21. Februar 2022

Interview mit Michael Villa von smartEn über den Stand der Umsetzung von Smart Grids in Europa

Ohne smarte Netze wird die Energiewende nicht gelingen. Einen Überblick zu deren Umsetzung in Europa gibt Michael Villa. Er ist Geschäftsführer von smartEn Europe, einem europäischen Unternehmensverband, der sich für den Einsatz verbraucherorientierter Lösungen im Rahmen der Energiewende stark macht.

Michael Villa, Geschäftsführer smartEn Europe

Herr Villa, was zeichnet Smart Grids aus?

Intelligente Netze helfen dabei, einen größeren Teil der volatilen erneuerbaren Energien in das System zu integrieren und dadurch eine kosteneffektive Dekarbonisierung zu unterstützen. Intelligente Netze bedeuten ein aktives Systemmanagement für weniger Netzbeschränkungen und bessere Systemresilienz. Dies erfordert eine Weiterentwicklung des Energiemarktes, bei der die Netzbetreiber als neutrale Marktvermittler betrachtet werden, die Flexibilitätsdienste von dezentralen Energieressourcen auf dem Markt beschaffen.

Welche Schritte sind auf europäischer Ebene für die Umsetzung nötig?

In erster Linie müssen von Seiten der Netzregulierungsbehörden Indikatoren entwickelt werden, die idealerweise EU-weit vergleichbar sind. Dies ist notwendig, um die Fortschritte bei der Verbesserung der Netze bewerten, klassifizieren und messen zu können. Bisher wurden größere Erfolge auf der Ebene der Übertragungsnetzbetreiber erzielt, während auf der Ebene der Verteilnetzbetreiber noch große Fortschritte erwartet werden. Ein Netzkodex für die nachfrageseitige Flexibilität würde es den europäischen Verteilernetzbetreibern erleichtern, Flexibilität aus erneuerbaren Energien nach gemeinsamen Regeln zu beschaffen und zu einem intelligenten Netz weiterzuentwickeln.

Welche europäischen Länder können als Vorbild in Europa dienen?

Die Intelligenz der Netze kann aus verschiedenen Perspektiven betrachtet und beurteilt werden:
Auf der Ebene der Verteilnetzbetreiber haben Frankreich, Finnland, Italien und das Vereinigte Königreich bereits Pilotprojekte entwickelt, um Flexibilitätsdienstleistungen zu beschaffen.

Im Vergleich zu den Verteilnetzbetreibern ist der Rahmen für die marktorientierte Beschaffung aller dezentralen Energieressourcen durch die Übertragungsnetzbetreiber weiter fortgeschritten, wenn auch nicht ideal. Frankreich, Griechenland, Irland, Slowenien und Spanien haben klare Regeln für die marktorientierte Beschaffung von Netzdienstleistungen durch die Übertragungsnetzbetreiber aufgestellt. Die Übertragungsnetzbetreiber in Frankreich, Finnland, Deutschland, Slowenien und dem Vereinigten Königreich haben in ihren 10-Jahres-Netzentwicklungsplänen bereits das Potenzial der Nutzung aller dezentralen Energieressourcen als Alternative zum Netzausbau berücksichtigt.

Die Einführung intelligenter Zähler ist ein weiteres Schlüsselelement für die Entwicklung intelligenter Netze und innovativer Tarifformen, wie beispielsweise dynamischer Strompreisangebote. Diese Voraussetzungen optimieren die Stromnutzung und geben den Endverbrauchern mehr Möglichkeiten, aktiv am Markt zu partizipieren. Mehrere EU-Mitgliedstaaten haben die Einführung von intelligenten Zählern entweder abgeschlossen oder eingeleitet. Entscheidend ist jedoch, dass die intelligenten Messsysteme sowohl mit den Energiemanagementsystemen als auch mit den intelligenten Netzen kompatibel sind, um dann zusammen sowohl vor als auch hinter dem Zähler zu funktionieren.

Die Entwicklung hin zu kostenorientierten Netztarifen ist nur in Frankreich und Finnland Realität. Dort hat die Netzregulierungsbehörde kostenorientierte, transparente Netzentgelte genehmigt, die auch dem Bedarf an Flexibilität Rechnung tragen.

Welche Herausforderungen müssen noch bewältigt werden?

Das Haupthindernis ist der Datenaustausch. Die Netzbetreiber sollten Informationen über Netzbeschränkungen und Echtzeitdaten über den Status des Energiemixes in anonymisierter und aggregierter Form offenlegen, ebenso wie den Treibhausgasgehalt. Damit schaffen sie Transparenz und ermöglichen neue Geschäftsmodelle.
Die mangelnde Sichtbarkeit von Netzbeschränkungen und freien Netzkapazitäten verhindert heute die Einführung neuer innovativer Dienstleistungen und das effiziente Funktionieren von Märkten, die für nachfrageseitige Ressourcen offen sind.

Welche Aufgaben sind in Bezug auf die Gesetzgebung und den wirtschaftlichen Rahmen zu lösen?

Die EU-Mitgliedstaaten müssen nach mehr als zwei Jahren den europäischen Rechtsrahmen – das Strommarktdesign – umsetzen. Allerdings enthält das Strommarktdesign einige unklare Bestimmungen. So benötigen wir einen neuen Netzkodex für den Bereich der nachfrageseitigen Flexibilität. Dieser ist notwendig, damit die nachfrageseitige Flexibilität in den Mitgliedstaaten harmonisch aktiviert und eine Fragmentierung innerhalb der EU vermieden werden kann. Außerdem brauchen wir ein Durchführungsgesetz über den Datenzugang für nachfrageseitige Flexibilität. Dazu gehört auch das Zusammenspiel von Prosumenten und Netzdaten.

Warum ist die Frage der Flexibilität des Stromnetzes so wichtig?

Flexibilität bringt Effizienz und Wirtschaftlichkeit: Die Kosten der Dekarbonisierung werden gesenkt und die Systemeffizienz erhöht. Das Netz sollte dazu beitragen, mehr variable erneuerbare Energien zu integrieren. Gleichzeitig sollte es durch Belohnung Endverbraucher darin fördern, sich aktiv zu beteiligen.

Wie wird die Bereitstellung von Flexibilität im Netz in Zukunft hauptsächlich umgesetzt werden?

Ganz klar durch die nachfrageseitige Flexibilität. Zu diesem Thema werden wir im September 2022 die Ergebnisse einer mit der internationalen Klassifizierungsgesellschaft DNV durchgeführten quantitativen Studie vorstellen. Sie beleuchtet die Vorteile, die eine Aktivierung der nachfrageseitigen Flexibilität in der EU bis 2030 mit sich bringt - sowohl für das System als auch für die Endverbraucher. Man darf gespannt sein!

smartEn ist Partner der EM-Power Europe vom 11.–13. Mai 2022 in München.

Einen umfassenden Einblick in die Netze der Zukunft, die Herausforderungen und Lösungsansätze auf dem Weg dorthin, erhalten Sie auf der EM-Power Europe Conference am 10. und 11. Mai.

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