Millionen von Wärmepumpen, Heimspeichern und Elektrofahrzeugen können im Stromsystem der Zukunft wertvolle Flexibilität bereitstellen. Sie können gezielt Produktionsspitzen von Wind- und Solarstrom aufnehmen oder ihren Verbrauch verschieben, um das lokale Netz zu entlasten. Welche Preissignale dabei hilfreich sind, hat Agora Energiewende untersucht.
Wärmepumpen statt Gasheizungen, Elektroautos statt Benziner: Strom macht einen immer größeren Anteil unserer Energieversorgung aus. Gleichzeitig hängt unsere Stromerzeugung immer mehr von den unsteten Energiequellen Sonne und Wind ab. Um unter diesen Voraussetzungen ein stabiles Stromsystem aufzubauen, braucht es Flexibilität.
Das sind nicht nur reaktionsfähige Kraftwerke und verschiebbare Lasten in der Industrie, wie Kühlaggregate oder Druckluftanlagen, sondern auch viele Geräte in ganz normalen Haushalten. Laut der aktuellen Studie „Haushaltsnahe Flexibilitäten nutzen“ von Agora Energiewende werden E-Autos, Wärmepumpen und Heimspeicher im Jahr 2035 etwa zehn Prozent des dann benötigten Jahresbedarfs an Strom zeitlich verschieben können.
Das sind immerhin 100 TWh. Diese verbraucherseitige Flexibilität spart volkswirtschaftlich die Kosten von rund 4,8 Mrd. Euro, denn man braucht weniger Spitzenlastkraftwerke, Umspannstationen, Kabel und Großspeicher. Den mit Abstand größten Anteil an der flexiblen Leistung haben dabei die Wallboxen.
Schon heute steuern Heimenergiemanagementsysteme (HEMS) viele dieser flexiblen Verbraucher. Dabei geht es aber meistens darum, selbst erzeugten Solarstrom möglichst auch selbst zu nutzen. Um auf das Stromangebot oder die Netzauslastung zu reagieren, brauchen die Systeme hingegen ein Preissignal von außen. So erhalten sie die Orientierung, zu welcher Zeit der Stromverbrauch am günstigsten ist, und zugleich einen Anreiz, diesen zu verschieben.
Wie ein solches Preissystem aussehen kann und was es bewirken würde, ist Gegenstand der Agora-Studie. Die Forschungsstelle für Energiewirtschaft (FfE) hat dafür detailliert simuliert, wie sich die verschiedenen Tarifmodelle auf die Erzeugung und den Stromfluss in den Verteilnetzen auswirken würden.
Der Fokus auf die Verteilnetze bringt dabei einen überraschenden Zusammenhang ans Tageslicht. Würde man nämlich einfach weiter an der heutigen, starren Tarifstruktur für Strom und Netzentgelte festhalten, wären die Kosten für den reinen Netzausbau auf der Niederspannungsebene mit Abstand am niedrigsten. „Nur“ 7 Mrd. Euro müsste man laut der Studie im sogenannten „lowFlex“-Szenario dafür investieren, in dem die flexiblen Verbrauchseinrichtungen rein bedarfsorientiert betrieben werden.
Dynamisiert man hingegen die Stromtarife auf Basis der Börsenpreise, hält aber die Netzentgelte konstant oder variiert sie nur in starren Zeitfenstern, schnellen die Ausbaukosten auf mehr als 17 Mrd. Euro in die Höhe. Der Grund ist leicht nachvollziehbar. Wenn Millionen Elektroautos und Wärmepumpen gleichzeitig anspringen, sobald der Wind auffrischt und der Strompreis fällt, braucht man ein ziemlich starkes Netz, um das zu verkraften. Jeder vierte Ortsnetztrafo müsste in diesem Szenario erneuert werden, so das Ergebnis der Berechnungen.
Welchen Nutzen haben flexible Tarife dann? Auch das hat das Studienteam simuliert. Würden Wärmepumpen und Wallboxen sich nicht am Strommarkt ausrichten, müsste man deutlich mehr flexible Kraftwerke und Großbatterien bauen, um ihren Bedarf decken zu können. Das wäre noch um ein Vielfaches teurer als der Netzausbau. Kostentreiber sind dabei laut dem Agora-Szenario vor allem die Brennstoffkosten der Kraftwerke, weniger die Investitionen. Erzeugung und Verbrauch müssen also zusammenfinden, um die Gesamtkosten des Stromsystems im Rahmen zu halten.
Das in Summe günstigste Szenario ergibt sich laut den Analysen von Agora, wenn man dynamische Stromtarife mit dynamischen Netzentgelten kombiniert. So ergibt sich ein kombiniertes Preissignal aus der Situation am Strommarkt und der Auslastung der Netze. Orientieren sich flexible Verbraucher daran, müsste „nur“ noch jeder siebte Ortsnetztrafo bis 2035 ausgetauscht werden. Das Autorenteam hält es für möglich, dynamische Netzentgelte schon bald einzuführen. Viele Voraussetzungen bestehen bereits.
So müssen Netzbetreiber zum Beispiel bis 2029 Auslastungsprognosen für ihre Netze etablieren, auf deren Basis ein sinnvolles dynamisches Steuern erst möglich werden kann. Die für die Abrechnung der dynamischen Tarife nötigen Smart Meter sind ebenfalls auf dem Weg. Die meisten der flexiblen Verbraucher sind zudem bereits mit HEMS ausgestattet, über die sie gezielt steuerbar sind.
Eine weitere gute Nachricht: Durch die volkswirtschaftliche Optimierung könnten die Strompreise auch für diejenigen Kunden sinken, die selbst kein Elektroauto und keine Wärmepumpe haben. Allerdings fiele ihr Preisvorteil minimal aus. Ein 4-Personen-Haushalt, der eine Wärmepumpe flexibel nutzt, könnte in einem System mit dynamischen Strompreisen und dynamischen Netzentgelten hingegen zum Beispiel satte 600 Euro sparen.
Allerdings handelt es sich dabei um ein mögliches Szenario für das Jahr 2035, das an eine Reihe von Annahmen geknüpft ist. Und in der Energiewende kam schon vieles anders als gedacht.