Interview mit Stefano Melchior, BeChained, über Demand Side Management als Umsatzquelle.
Das spanische Start-up BeChained bietet ein cloudbasiertes System, das der Industrie und anderen Großverbrauchern helfen soll, die Flexibilität im Energieverbrauch ihrer Produktionsprozesse zu monetarisieren. Durch die Verlagerung von Lasten können sie Spitzenpreise vermeiden oder ihre Flexibilität sogar zur Netzstabilisierung verkaufen.
Normalerweise machen Industrieunternehmen am meisten Geld, wenn ihre Produktion auf vollen Touren läuft. Mit BeChained könnten sie bald zusätzliches Geld verdienen, indem sie ihren Energieverbrauch und damit ihre CO2-Emissionen reduzieren. Das Start-up zielt darauf ab, nachfrageseitige Flexibilität (Demand Side Response) auf den Regelenergiemärkten an die Übertragungsnetzbetreiber zu verkaufen. Die Zielgruppe sind Industrie und Großverbraucher mit einem Mindeststromverbrauch von 2 GWh pro Jahr. Nach Modellrechnungen von Smart Energy Europe und DNV könnte die gezielte Steuerung der Stromnachfrage bis 2030 zu einer Verringerung der elektrischen Last um 164 GW und zu einer Verringerung der Last um 130 GW beitragen. Die Industrie spielt in diesem Szenario eine wichtige Rolle. Doch während positive und negative Regelleistung schon seit vielen Jahren auf dem Markt sind, gibt es bisher nur wenige Länder mit einem eigenen Markt für Demand Side Response. Der CEO von BeChained, Stefano Melchior, ist überzeugt, dass sich dies bald ändern wird.
Es gibt viele Ideen, um die Flexibilität im Stromverbrauch industrieller Prozesse nutzbar zu machen. Wie würde ein typischer Anwendungsfall für Ihre Lösung aussehen?
Nehmen wir die Zellstoff- und Papierindustrie. Bei der Papierherstellung zerkleinert Maschine mit einer Klinge die Zellulose und das Altpapier zu einer homogenen Masse. Ein gewisser Massenstrom muss vorhanden sein aber es gibt es eine Toleranz. Man kann die Geschwindigkeit der Klinge also zeitweise verringern und später wieder auf die normale oder eine höhere Geschwindigkeit hochfahren. Die so auf Abruf mögliche Reduzierung des Strombedarfs kann man auf dem Markt verkaufen. Außerdem verringern sich auf diese Art die Emissionen. Denn wenn der Strom auf dem Markt knapp ist, werden mehr fossile Kraftwerke betrieben, sodass die Kohlenstoffemissionen hoch sind. Durch die Verlagerung der Last auf Zeiten mit niedrigeren Energiepreisen werden automatisch mehr erneuerbare Energien genutzt.
Sie nutzen eine KI für die Steuerung. Doch braucht Daten zum Lernen. Woher kann sie bei einem neuen Prozess wissen, was zu tun ist?
Zunächst einmal benötigt der Kunde einen intelligenten Zähler für jede einzelne Maschine, damit unser Algorithmus den Verbrauch kennt. Dann nutzen wir die Maschineneinstellungen aus der Vergangenheit und vom Kunden angegebene Einschränkungen, um den Bereich zu definieren, in dem der Algorithmus arbeiten kann. Wir sperren ihn quasi in einen Käfig, damit er das Produktionssystem des Kunden nicht beschädigen kann. Von da an beginnt die KI zu lernen und sich zu verbessern. Sie schafft einen digitalen Zwilling der Fabrik.
Wie lässt sich diese erbrachte Flexibilität dann messen und verkaufen?
Die Baseline für den Verbrauch sind die historischen Daten. Der tatsächliche Verbrauch als Reaktion auf den Flexibilitätsabruf wird über eine Blockchain dokumentiert. Das heißt, er kann nicht manipuliert werden. Der Kunde kann also nachweisen, dass er den Verbrauch als Reaktion auf die Anforderung wirklich gesenkt hat.
Dann brauchen wir natürlich einen Markt, auf dem diese Art von Flexibilität gehandelt wird. In Finnland, Belgien und den Niederlanden gibt es bereits einen solchen Flexibilitätsmarkt. In Österreich, Spanien und Deutschland gibt es noch keinen Markt für Demand Side Response. Deutschland hat es gewissermaßen mit der Abschaltbare-Lasten-Verordnung versucht, aber das hat sich als ineffizient erwiesen. Wenn man die Stromversorgung komplett unterbricht, können Prozesse zum Stillstand kommen, und das kann bedeuten, dass der Kunde große Mengen an wertvollen Rohstoffen, Zeit und Geschäftsmöglichkeiten verliert. Aber die EU treibt die Flexibilitätsmärkte voran, und es werden bald weitere Märkte hinzukommen.
Was sieht das genaue Geschäftsmodell aus?
Wir bieten die Software als Dienstleistung an, also Software as a Service. Der Kunde bezahlt uns einmalig für die Anpassung der Software an seine Bedürfnisse. Wenn der Kunde später seine Flexibilität auf dem Markt verkauft, erhalten wir auch einen Prozentsatz seines Umsatzes. Wir haben also ein Interesse daran, einen hohen Wert für den Kunden zu schaffen. Es ist ein Win-Win-Spiel. Wir planen, so viele Kunden wie möglich zu aggregieren, damit wir mehr Relevanz auf dem Markt erlangen können.
Apropos Relevanz: Wie wollen Sie mit den großen Unternehmen wie Siemens und anderen konkurrieren?
Wir müssen unsere geringe Größe als Vorteil nutzen und agiler, schneller und präziser in unseren Prognosen sein - und gleichzeitig sehr zuverlässig. Wir sind derzeit ein Team von acht Personen und haben das Unternehmen im Jahr 2020 gegründet. Auf der technischen Seite arbeiten bei uns ein promovierter Datenwissenschaftler, mehrere Dateningenieure und ein Blockchain-Entwickler. Ich selbst habe Maschinenbau studiert und einen Master-Abschluss in Betriebswirtschaft sowie einen weiteren in Business Analytics, außerdem 20 Jahre Erfahrung in der globalen Wirtschaft, wozu auch der Einkauf von Energie für multinationale Unternehmen gehört. Obwohl wir ein junges Unternehmen mit einem kleinen Team sind, verfügen wir also über mehr als 45 Jahre Erfahrung in der Energietechnik.
Haben Sie schon Referenzprojekte?
Ja, das haben wir. Allerdings verkaufen wir die Flexibilität bisher nicht auf einem Markt. Wir haben unser System in einer Fabrik im Vereinigten Königreich implementiert. Der Kunde will seine Produktion erhöhen und benötigt mehr Strom, aber der Ausbau des Stromnetzes würde fünf Jahre dauern. Der Kunde hat daher eine PV-Anlage und eine Batterie installiert. Unsere KI steuert das gesamte System. Sie berücksichtigt natürlich die harten Faktoren wie die verfügbare Energie aus dem Netz und von der Sonne, bezieht aber auch die Strompreise mit ein. So kann es sinnvoll sein, die Batterie nachts aufzuladen, wenn der Strom billig ist, um so für den nächsten Tag mit seinen Preis- und Verbrauchsspitzen gut gerüstet zu sein. Mit 30 % Eigenproduktion und der Lastverschiebung kann der Kunde 70 % seiner Energiekosten einsparen.
Darüber hinaus arbeiten wir mit einem ersten Kunden in Spanien zusammen, einem Stahlwerk. Dieses System befindet sich noch in der Voruntersuchung. Wir planen, die Implementierung bis Ende des Jahres abzuschließen und Anfang 2024 mit den Tests zu beginnen. Unseren Simulationen zufolge kann dieser Kunde seinen Energieverbrauch um 19 % senken. Nach den Tests können wir das System auf andere Kunden ausweiten. Außerdem müssen noch den Übertragungsnetzbetreiber dazu bringen, unser System zu testen und zu zertifizieren, um die Flexibilität vermarkten zu können.
Was wollen Sie in den nächsten drei Jahren erreichen?
Wir wollen unseren Service auf andere Länder und andere Branchen ausweiten. Deutschland hat zum Beispiel eine starke Industrie in den Bereichen Stahl, Chemie und Papier. Dort gibt es sowohl ein großes Potenzial als auch einen großen Bedarf an Flexibilität, um diese Industrien mit den Netzkapazitäten in Einklang zu bringen. Innerhalb von drei Jahren wollen wir auf europäischer Basis operieren.
Außerdem planen wir den Einstieg in den Markt für CO2-Kompensation. Wie gesagt verlagern wir den Energieverbrauch in die Stunden, in denen der Strom einen geringeren CO2-Faktor hat. Unser Plan ist es, diese Reduktion zu zertifizieren und sie auf dem Markt als CO2-Kompensation zu verkaufen.
Hat die EM-Power Ihnen bei Ihren Plänen geholfen?
Die Veranstaltung auf jeden Fall viele neue Kontakte gebracht. An unserem Stand hatten wir viele Gespräche darüber, was wir tun und wie es funktioniert. Die Start-up Pitches am Donnerstag und unsere Präsentation am Freitag im Panel für Energieflexibilität von smarten Europe waren ebenfalls sehr effektiv. Dadurch haben wir eine Menge neuer Kontakte geknüpft.
BeChained war Aussteller der Start-up Area bei The smarter E Europe 2023.
Sie haben selbst ein junges Unternehmen und möchten sich auf The smarter E Europe 2024 vom 19.–21. Juni 2024 präsentieren? Dann informieren Sie sich über unsere speziellen Angebote für Start-ups!