Start-up-Interview – "Wir sind in der Lage, einen Preis für Flexibilität zu errechnen"

Start-up-Interview – Montag, 24. Oktober 2022

Exnaton unterstützt Energieversorger bei der Abrechnung komplexer Energieflüsse

Regional einzukaufen schont das Klima. Das gilt nicht nur für Salat vom Hofladen um die Ecke sondern auch für Strom vom Nachbarn. Sogenannte Energiegemeinschaften können und sollen nach dem Willen der EU einen wichtigen Beitrag zur dezentralen Energiewende leisten. Doch wie lassen sich Energieflüsse zwischen Nachbarn überhaupt abrechnen? Das Schweizer Start-up Exnaton hat dafür eine Software-Plattform entwickelt. Mitgründerin Liliane Ableitner erklärt im Interview, wie das Ganze funktioniert.

Dr. Liliane Ableitner hat Exnaton als Spinoff der ETH Zürich gemeinsam mit zwei Partnern 2020 gegründet.

Mit Ihrer Software-as-a-Service-Plattform „PowerQuartier“ ermöglichen Sie den lokalen Handel von Strom aus erneuerbaren Energien. Bitten erklären Sie uns kurz, was die Software leisten kann.

PowerQuartier ist eine Abrechnungslösung für die dezentralen erneuerbaren Energien, mit der wir verschiedene komplexe Energieflüsse auf eine Rechnung bringen können. Außerdem bieten wir eine App an, die die erhobenen Energiedaten aufbereitet und visualisiert.

Dabei haben wir drei verschiedene Anwendungsbereiche. Der erste Use Case ist das Energy Sharing oder der kollektive Eigenverbrauch, auch Mieterstrom ist hier ein Begriff. Hier geht es darum, dass Haushalte untereinander Strom handeln. Der zweite Use Case ist, dass sich Haushalte, die vielleicht kein eigenes Dach haben, aber trotzdem ein bisschen Geld in die Energiewende investieren möchten, in große Photovoltaikanlagen einkaufen. Hier können wir den virtuellen Eigenverbrauch der investierten Kunden abrechnen. Und der dritte Use Case sind ganz einfach verschiedene dynamische Tarife. Das kann zum Beispiel der Spotmarktpreis sein oder ein lokaler dynamischer Tarif, der den aktuellen Netzzustand innerhalb einer Nachbarschaft berücksichtigt.

Ihre Zielgruppe sind Energieversorgungsunternehmen und Stadtwerke. Wie profitieren diese von Ihrer Abrechnungslösung?

In der Praxis ist es oft so, dass Energieversorgungsunternehmen gerne flexiblere Tarife anbieten möchten, sie aber nicht abrechnen können, und es dann bleiben lassen. Unsere Lösung erlaubt es ihnen, ganz neue Tarife einzuführen und ihr Produktportfolio zu erweitern.

Immer mehr Haushalte investieren in Photovoltaik und erzeugen selbst Strom, dadurch macht das Energieversorgungsunternehmen erst mal weniger Umsatz. Gleichzeitig sehen wir aber auch, dass ganz viele Haushalte viel mehr Informationen brauchen und bereit sind, dafür zu bezahlen.

Durch neue Serviceangebote rund um erneuerbare Energien können die Energieversorger ihren Kunden helfen, die richtigen Entscheidungen in der Energiewende zu treffen. Statt nur Reststromlieferant zu sein, werden sie so auch zum Informations- und Serviceprovider. Man entwickelt sich hier quasi gemeinsam in die Energiewende.

„Werfen Sie die Geräte an“ - PowerQuartier informiert die Mitglieder, wenn überschüssiger Strom in der Gemeinschaft vorhanden ist.

Wie kann der Endkunde PowerQuartier nutzen?

Beim Energy Sharing handele ich als Kunde Strom in meiner Nachbarschaft. Ich kann meinen Strom an meine Nachbarn verkaufen bzw. weiß, wo mein Strom herkommt. Das ist eine lokale Optimierung des Energiesystems, was natürlich Unabhängigkeit schafft, eine nachhaltige Lösung ist und so den Haushalten schon mal das Gefühl gibt, das Richtige zu tun.

In einem zweiten Schritt lässt sich womöglich auch die Stromrechnung ein wenig reduzieren, vorausgesetzt, die richtigen Gesetze sind vorhanden. Die Europäische Union möchte Energy Sharing, also Energiegemeinschaften, flächendeckend einführen, und die Mitgliedsstaaten müssen nun Konzepte erarbeiten, wie sie das im eigenen Land umsetzen möchten.

In Österreich gibt es für Energiegemeinschaften bereits enorm reduzierte Netzentgelte und Abgaben. Hier kann ein Haushalt so ungefähr 100 € im Jahr auf die Stromrechnung einsparen, sage ich mal. Das ist ein spürbarer finanzieller Mehrwert.

Wir haben jetzt immer von Haushalten gesprochen. Energiegemeinschaften sind aber auch für Gewerbebetriebe interessant, oder?

Absolut. Tatsächlich ist genau der Mix aus privaten Haushalten, Unternehmen und Kleinindustrie ideal für eine Energiegemeinschaft. Wir müssen es schaffen, Stromverbrauch und -produktion aufeinander abzustimmen. Da bringt es nichts, wenn zehn Haushalte mit einer Photovoltaikanlage Strom an weitere zehn Haushalte verkaufen, die tagsüber nicht zuhause sind. Die Kopplung aus Privat- und Firmenkundensegment ist hier perfekt, weil sie für gewöhnlich sehr konträre Lastprofile haben.

Wie funktioniert die Preisbildung für den Strom in einer Energiegemeinschaft?

Entweder wird der Preis als Fixtarif im System hinterlegt, den können die Haushalte auch untereinander aushandeln. Oder man arbeitet mit einem dynamischen Tarif. Bei einem lokalen dynamischen Tarif schaut sich die Software für jede Abrechnungsperiode, das sind typischerweise 15-Minuten-Intervalle, an, wie hoch Stromproduktion und -verbrauch in der einen Energiegemeinschaft gerade sind und berechnet basierend darauf den aktuellen Preis. Der Strom ist dann günstig, wenn besonders viel produziert wird, und ein bisschen teurer, wenn viel verbraucht wird, aber vielleicht gerade keine lokale Stromproduktion vorhanden ist. Das setzt die richtigen Anreize, Strom dann zu verbrauchen, wenn er verfügbar ist.

Womit wir beim wichtigen Thema der Flexibilität sind.

Genau, wenn wir über diese dynamischen Tarife sprechen, sind wir auch beim Thema Flexibilität. PowerQuartier schafft es, die richtigen Anreize zu setzen, sodass es besonders günstig oder eben teurer ist, Strom zu einem bestimmten Zeitpunkt zu verbrauchen. Das heißt, wir sind in der Lage, einen Preis für Flexibilität zu errechnen. Nach diesem Preis kann der Haushalt sein Verbrauchsverhalten richten oder aber – und das wird in der Praxis häufiger vorkommen – man wird Batterien und Wärmepumpen nach diesen Preissignalen steuern.

Sie haben schon Österreich als Vorzeigebeispiel für Energy Sharing erwähnt. Welche regulatorischen und technischen Bedingungen müssen denn erfüllt sein, damit Energiegemeinschaften möglich sind?

Zum einen muss die entsprechende EU-Direktive in nationales Recht überführt werden. Das haben bereits einige Länder getan, wie zum Beispiel Österreich. Energy Sharing muss aber nicht nur untereinander erlaubt sein, sondern es braucht auch eine finanzielle Grundlage, die Energiegemeinschaften finanziell attraktiv machen. Der dritte Punkt ist dann technisch, nämlich auf welcher Datengrundlage die Energieflüsse miteinander verrechnet werden. Typischerweise verwenden wir hierzu Smart Meter Daten in 15-minütlicher Auflösung. Dadurch können wir Lastkurven übereinanderlegen und quasi berechnen, wer mit wem Strom handelt.

Welche Länder in Europa sind derzeit am attraktivsten für Energiegemeinschaften?

Das ist ganz klar Österreich, die sind im Gesetz schon sehr weit. Aber wir sehen, dass das Thema ebenso in Ländern wie Belgien, Italien und Spanien immer relevanter wird. Auch Dänemark, Luxemburg und die Niederlande beschäftigen sich damit. Energiegemeinschaften nehmen zu und werden überall in Europa kommen.

Was meinen Sie, werden wir in Zukunft vielleicht alle Teil einer Energiegemeinschaft sein und uns innerhalb von Quartieren oder Regionen selbst dezentral mit Energie versorgen?

Wir würden es uns wünschen. Mit erneuerbaren Energien werden wir viel dezentraler Strom produzieren als bisher. Somit müssen wir es schaffen, den Strom auch optimal dezentral zu verbrauchen. Das heißt, wir müssen unsere Verbrauchskurve den Produktionskosten von Wind- und Solarstrom annähern und möglichst gute Anreize setzen, Strom dann zu verbrauchen, wenn die erneuerbaren Energien den Strom produzieren. Da sehen wir mit den Energiegemeinschaften ein ganz großes Potenzial.

Welche Ziele strebt Exnaton in den nächsten zwei, drei Jahren an?

Also zum einen bauen wir natürlich unser Produkt stetig aus. Wir sind letztes Jahr mit den Energiegemeinschaften an den Markt gegangen. Die haben sich dieses Jahr sehr gut entwickelt. 2022 haben wir noch ein weiteres Produkt, die geteilten Investments, gelauncht und haben auch schon sehr viel mehr mit dynamischen Tarifen gemacht. So kommen immer mehr Funktionalitäten zu PowerQuartier dazu. Wir möchten uns natürlich auch im Bereich E-Mobilität und Wärme ein paar Gedanken machen und hier zur Energiewende beitragen. Wirtschaftlich möchten wir ganz klar die Abrechnungs-Plattform für komplexe Energieflüsse sein und möglichst vielen Energieversorgungsunternehmen mit der Software helfen, neuartige Produkte besser abrechnen und besser an den Markt bringen zu können.

Sie haben als Start-up an der EM-Power Europe vergangenen Mai teilgenommen. Wie hat es Ihnen gefallen? Würden Sie anderen Start-ups die Teilnahme empfehlen?

Absolut. Wir fanden die EM-Power wirklich sehr cool. Es war unser erstes Jahr. Wir hatten eine enorm gute Zeit, haben sehr viele spannende Gespräche geführt, haben uns sehr wohlgefühlt und fanden, dass eine ganz tolle Stimmung geherrscht hat, nämlich wirklich eine Aufbruchsstimmung und so eine positive Stimmung im Sinne von jetzt ist der richtige Zeitpunkt, aktiv zu werden und einfach mal anzupacken und zu machen. Von dem her hat es uns wirklich sehr gut gefallen dieses Jahr.

Das Interview führte Simone Pabst.

PowerQuartier wertet die hochaufgelösten Stromdaten aus und stellt sie übersichtlich grafisch dar, auf Quartiersebene und auch für die einzelnen Mitglieder einer Energiegemeinschaft.

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Exnaton hat in der Start-up Area der The smarter E Europe 2022 ausgestellt. Sie haben selbst ein junges Unternehmen und möchten sich auf The smarter E Europe 2023 vom 14.–16. Juni 2023 präsentieren? Dann informieren Sie sich über unsere speziellen Angebote für Start-ups!.

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