Fast sechs Terawattstunden Strom aus erneuerbaren Energien ging 2021 verloren, weil die Netze ihn nicht aufnehmen konnten. Das kostete über 800 Millionen Euro an Entschädigungen. Das Start-up decarbon1ze will diese Erzeugungsspitzen in die Heizungskeller der Städte dirigieren – am liebsten dorthin, wo es bisher an anderen klimafreundlichen Wärmekonzepten fehlt. Geschäftsführer Knut Hechtfischer ist einigen noch bekannt aus dem Start-up Ubitricity, das Londoner Straßenlampen zu Ladesäulen für E-Autos machte und seit 2021 zur Shell-Gruppe gehört. Warum Hechtfischer und seine Mitgründer nun auf elektrische Heizstäbe setzen und an welche Grundgedanken von Ubitricity sie dabei anknüpfen hat, erklärt er im Interview.
Im Vergleich zum Laden an Laternenmasten klingen Heizstäbe im Wasserstank ziemlich unspektakulär. Was hat das miteinander zu tun?
Die ursprüngliche Idee von Ubitricity war nicht nur das Laden von Autos an Laternen, sondern dass jedes Auto seinen eigenen Zähler und energiewirtschaftliche Adresse mitbringt und der Ladestrom viertelstundengenau für beliebige Lieferanten bilanziert werden kann. Denn wann, wo, und mit welchem Strom die E-Autos laden, ist alles andere als egal. Diese Idee übertragen wir bei decarbon1ze in den Wärmesektor und setzen auch auf das auf, was wir bei Ubitricity gelernt haben.
Unser Ziel bei decarbon1ze ist es, den Wind- und Solarstrom, der ansonsten abgeregelt würde, regional in bereits bestehenden Warmwasser-Pufferspeichern zu „parken“, indem man einfache Heizstäbe und eine geeignete Messsystemtechnik nachrüstet. Im Jahr 2021 waren es fast sechs Terawattstunden, die abgeregelt wurden. Und wie es aussieht, wird der Photovoltaik-Ausbau in den nächsten Jahren deutlich schneller vorankommen als der Ausbau der Übertragungsnetze, sodass diese Strommengen vor allem im Sommer noch zunehmen werden. Diesen Strom sollten wir nutzen.
Wie können Sie speziell diesen Solarstrom erfassen?
Der Einsatz der Heizstäbe erfolgt gesteuert und wird 15-Minuten-genau gemessen. Dafür braucht man auf jeden Fall ein Smart Meter Gateway. Dessen Einbau kann aber im Zusammenhang mit dem Einbau der Anlage erfolgen. Wir müssen also nicht warten, bis der Smart Meter Rollout fertig ist, sondern können parallel loslegen. Die Kosten für das Smart Meter seitens der Verbraucher sind mit dem Neustart des Rollout ja deutlich gesunken, das macht es leichter.
Am Heizstab gibt es dann Submeter, einen von uns entwickelten Unterzähler, der per Funk mit dem Smart Meter Gateway kommuniziert. So können wir den Strom, der an den Heizstab geliefert wird, separat erfassen und virtuell bilanzieren, also transaktionsscharf verschiedenen Bilanzkreisen zuordnen, obwohl wir uns hinter derselben Messlokation befinden.
Wie die Steuerung und Abrechnung genau laufen könnten, analysieren wir gerade im Forschungsprojekt FlexMC zusammen mit 50 Hertz und dem Smartmetergateway-Hersteller Theben, das noch bis Mitte 2024 läuft. Klar ist bereits, dass die Kommunikation nach den hohen Sicherheitsvorgaben des BSI, dem Messstellenbetriebsgesetz und nach den Vorgaben des deutschen und europäischen Messwesens erfolgen muss. Außerdem muss sie einfach und kostengünstig sein, um sich im Bestand schnell installieren zu lassen.
Apropos Kosten: Wie soll der Solarstrom mit dem Erdgas konkurrieren können, wenn allein die Netzentgelte teurer sind als das Gas?
Wir brauchen dafür im Ergebnis ein regionales und zeitvariables Netzentgelt. Das ist systemisch sinnvoll, weil sonst ein immenses Potenzial für Flexibilität unerschlossen bleibt. Wir reden hier über Gigawatt. Unserer Ansicht nach gibt es das Energiewirtschaftsgesetz her, dafür eine produktspezifische Ausnahme für die netzdienlichen Heizstäbe zu etablieren. Gerecht sind die reduzierten Netzentgelte für diese Fälle auch, denn sie gelten ja nur für zusätzliche Verbräuche und nur so können auch mal diejenigen profitieren, die kein Eigenheim besitzen und daher nicht einfach ihr Energiemanagement für ihren eigenen Solarstrom optimieren können. Zusätzlich brauchen wir ein Tool, um die entsprechenden Mengen zu bilanzieren.
Im Vergleich zur Wasserstofferzeugung per Elektrolyse ist unser Konzept übrigens sehr effizient und preiswert. Um ein Kilowatt an Gas-Output per Elektrolyse zu erzeugen, muss man tausende Euro investieren. Der energetische Wirkungsgrad ist gering. Ein elektrischer Heizstab in einem bestehenden Warmwasserspeicher kostet dagegen nur wenige hundert Euro. Der Solarstrom senkt künftig im Sommer den Gasverbrauch – dieses steht dann im Winter entsprechend mehr zum Heizen zur Verfügung. Auch so haben wir sozusagen Gas für den Winter gewonnen, indem wir im Sommer Solarstrom einsetzen – aber mit viel höherem Wirkungsgrad und zu geringeren Kosten. Auf keinen Fall dürfen wir in diesem Jahrzehnt weitere Millionen Tonnen CO2 zusätzlich in die Atmosphäre schicken, indem wir Grünstrom nicht nutzen, sondern abregeln, und dann andernorts die Energie fossil erzeugen. Solange wir noch Millionen von alten Heizungsanlagen haben, können wir diesen erneuerbaren Strom durch Sektorenkopplung nutzen.
Wäre in Bezug auf den Wirkungsgrad nicht die Wärmepumpe die noch bessere Wahl?
Wir wollen auf keinen Fall mit Wärmepumpen um Strom oder Anwendungsfälle konkurrieren. Wir zielen auf diejenigen Mehrfamilienhäuser mit zentraler Warmwasserbereitung, bei denen zum Beispiel wegen der dichten Bebauung eine Wärmepumpe nicht in Frage kommt und kein Anschluss an ein Wärmenetz absehbar ist. Wir reden allein in diesem Bereich über Millionen von Haushalten.
Gleichzeitig ist die regionale und zeitliche Dynamik der Netzentgelte - oder von Netzentgeltausnahmen - wichtig, damit sich keine Fehlanreize ergeben und es wirklich um „nutzen statt abregeln“ geht. Wenn in Bayern Heizstäbe mit Windstrom aus Norddeutschland betrieben werden, als wäre das Netz eine Kupferplatte ohne Netzengpässe, ist etwas schiefgegangen.
Unsere Lösung kann in sehr kurzer Zeit installiert werden und sofort CO2-Emissionen senken, auch in Kombination mit einem bestehenden Gaskessel. Das Interesse der Wohnungswirtschaft ist daher sehr groß.
Wie weit wollen Sie mit der Umsetzung in zwei bis drei Jahren sein?
Gerade sind wir in der Pilotierungsphase mit Immobilienunternehmen. In zwei bis drei Jahren wollen wir auf jeden Fall so weit sein, dass unser Produkt in allen vier Regelzonen großflächig verfügbar ist. Dann soll es sich in kürzester Zeit auf mehrere hundert Megawatt skalieren lassen. Ob und wie schnell das dann geschieht, hängt auch von der Politik und den größeren Stakeholdern ab.