Der Hype um die Blockchain-Technologie ist in den letzten Monaten etwas zurückgegangen, aber die Anwendungen werden immer ausgereifter. Wie wird das Thema aktuell diskutiert und welche Aussichten und Chancen bietet Blockchain wirklich? Darüber sprechen wir mit Sebnem Rusitschka, der Gründerin des Energie-Start-ups Freeelio, einem Mitglied im Blockchain-Bundesverband „Bundesblock“.
Bei Freeelio haben Sie sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Sie wollen Energie so einfach und kostenlos zugänglich machen wie Luft. Wie nahe sind Sie dieser Vision denn schon gekommen?
Auch wenn es Sie wundert: sehr nahe, näher als je zuvor. Wenn wir auf die Umsetzung in der Praxis schauen, sieht das natürlich ganz anders aus. Aber ich komme als Informatikerin nun mal von der technischen Seite, auf der die meisten Probleme bereits gelöst wurden. Wir müssen jetzt die Hürden in den Köpfen der Menschen überwinden und das ist eine wesentlich größere Herausforderung als ich dachte. Das ist für Blockchain in der Energiewirtschaft nicht anders als in anderen Bereichen. Die Umsetzung in der Praxis ist weniger ein technisches Problem, sondern eine Frage der Mentalität.
Gehen wir nochmal einen Schritt zurück. Wie würden Sie Blockchain jemandem erklären, der das Wort noch nie gehört hat oder nicht weiß, was das ist?
Gar nicht so einfach, die Technik dahinter ist ja sehr komplex. Auf jeden Fall treffen hier verschiedene Fachbereiche aufeinander. Einfach ausgedrückt ist es eine verteilte, nicht veränderbare Datenbank (das sog. Ledger), in der Konten und Geldtransaktionen verwaltet werden, ohne dass es dafür eine einzelne übergeordnete Kontrollinstanz gibt. Die Daten können nicht manipuliert werden. Es handelt sich um einen revolutionären, dezentralen Ansatz. So wird der Austausch von Vermögenswerten über das Internet möglich.
Ich höre da einige Merkmale heraus, die auch auf Smart Grids zutreffen. Aber unabhängig von Smart Grids oder dem Energiesektor, was ist mit Blockchain passiert? Vor einigen Jahren gab es so einen großen Hype, da ging es überall um Blockchain. In der letzten Zeit hat man nicht mehr so viel darüber gehört. Ist das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen?
Das ist immer ein gutes Zeichen. Das Tal der Enttäuschungen liegt sozusagen hinter uns, jetzt geht es auf der Produktivitätskurve wieder bergauf. Im Ernst: Nun geht es um die Implementierung und die ist eine Herausforderung. Wir wissen aber, worin das Problem liegt. Nach diesem Hype um Blockchain und Energie haben wir eine Blockchain-Strategie für Deutschland entwickelt. Wir stießen dabei auf eine Reihe erfolgreicher Fallbeispiele für den Bereich Nachhaltigkeit und Energie. Natürlich ist Strategie eine Sache und die Umsetzung eine andere. In der Praxis wären wir fast gescheitert. Das Problem sind die Gesetze und die Regulierung des Strom- und Finanzmarktes. Der Energiemarkt ist grundsätzlich auf eine bestimmte Art des Angebots ausgelegt, nämlich für große, zentrale Stromanbieter. Und genau das stand auch dem Smart Grid lange Zeit im Weg. Jetzt haben wir mit der Blockchain-Technologie in der Energiewirtschaft dasselbe Problem.
Wie sieht die Relevanz von Blockchains auf dem Energiemarkt denn aus? An welcher Stelle in intelligenten Netzen bzw. im Energiesektor bietet Blockchain einen Vorteil, den andere Technologien nicht bieten?
Abgesehen vom Aspekt der Dezentralisierung ist Blockchain eine Peer-to-Peer-Technologie, die sich seit den 2000er Jahren entwickelt hat. Es handelt sich um eine Revolution der Programmierregeln, um praktisch alles, was einen Wert hat, im Netz tauschen zu können. Und dieser Austausch wird von der Community kontrolliert, woraus sich neue Regeln für den Markt ergeben. Das ermöglicht letztlich flexiblere Formen der dezentralen Stromversorgung, Energieeinspeisung und -verbrauch sowie -verteilung ohne Zwischenhändler.
Aber warum wollen viele Leute hier nicht umdenken? Sie trauen der Technologie nicht, weil sie sie nicht verstehen. Ist Blockchain einfach zu kompliziert?
Ja, genau. Aber das Problem hat man mit jeder grundlegend neuen Technologie: Manchmal dauert es rund zehn Jahre, bis sie über Nacht zum Erfolg wird. Wir müssen die Entwicklung und die Akzeptanz von Blockchain in einem Bereich vorantreiben, der Risiken weniger scheut. Das ist mir in den letzten fünf Jahren klar geworden. Für einen breiten Einsatz auf dem Markt müssen auch die Schnittstellen dieser Technologie noch viel sicherer werden. Im Moment muss man zum Beispiel technisch sehr versiert sein, um seine privaten Zugangsschlüssel sicher aufzubewahren. Damit sich die Blockchain durchsetzt, muss also noch einiges getan werden, schließlich haben viele Menschen schon Schwierigkeiten mit dem Passwort für Ihr E-Mail-Postfach.
Ein wichtiger Aspekt ist offensichtlich auch, dass man eine Blockchain unterschiedlich betreiben kann. Die Nutzung kann je nachdem extrem energieintensiv sein. Es erscheint nicht sehr logisch, eine energieaufwendige Technologie in ein Netz einzubinden, das so energieeffizient wie möglich sein soll. Warum verbrauchen manche Blockchains so viel Energie und welche können wir in Stromnetzen einsetzen, ohne dass diese ineffizient werden?
Ich sage gerne scherzhaft, dass es toll ist, dass eine Blockchain so viel Energie frisst, denn plötzlich stellen die Leute den Energieverbrauch von allen möglichen anderen Dingen in Frage, wie dem ihrer Wohnung oder von Fabriken in ihrer Nähe. Aber Sie haben natürlich Recht, dass Bitcoins zum Beispiel ein aufwendiges, global angelegtes Ledger voraussetzen, damit dieses nicht manipuliert werden kann. Dazu wird ein sogenannter Konsensmechanismus eingesetzt, der die Datenintegrität gewährleistet und durch den jeder Rechenknoten im Blockchain-Netzwerk dieselben Informationen sichert und dieselbe Integritätsprüfung durchführt. Dieser Konsensmechanismus, bei dem die zentrale Vertrauensinstanz durch die Mitglieder des Netzwerks ersetzt wird, erfordert eine enorme parallele Rechenleistung, wodurch der Energieverbrauch sehr hoch ist. Aber so lange der Nutzen der vielfach geprüften Datenintegrität den Nachteil des Energieverbrauchs aufwiegt, haben solche Netzwerke ihre Berechtigung. Sie verschwenden zwar Energie, sind aber nicht manipulierbar und dadurch mächtig.
Es gibt aber auch Blockchains, die auf anderen Mechanismen beruhen, auch wenn die Datenintegrität immer der zentrale Bestandteil ist. Manche Lösungen weichen so stark ab, dass man sie gar nicht mehr als Blockchain bezeichnen kann, da die Datenintegrität auf völlig andere Weise sichergestellt wird.
Im Energiesektor haben wir zum Beispiel die Energy Web Chain, die auf dem Proof-of-Authority-Prinzip basiert. D.h. die Validierung der Daten in der Blockchain erfolgt durch bekannte Instanzen. Und diese Instanzen haben ein Interesse daran, dass die Daten nicht korrumpiert werden. Zu diesen Instanzen, die für die Validität sorgen, gehören beispielsweise auch große Ölfirmen, was wiederum zeigt, dass wir in einer seltsamen Welt leben, in der es viele Widersprüche gibt. Ich halte das für gut. Das Wichtigste ist, dass der verbrauchte Strom aus erneuerbaren Energien stammt und dass dies sichtbar wird – das ist der einzig vernünftige Schritt in die richtige Richtung. Denn dass wir in unserer immer digitaler werdenden Welt weniger Energie verbrauchen, ist einfach zu unwahrscheinlich.
Dieses Interview ist ein Auszug aus einer Folge des The smarter E Podcasts. Das vollständige Interview auf Englisch können Sie hier anhören.
Möchten Sie über neue Interviews, Best-Practice-Beispiele und Branchenneuigkeiten informiert werden? Dann melden Sie sich für den EM-Power-Newsletter an!