Interview mit Dr. Paul Troughton, Senior Director of Regulatory Affairs bei Enel X
Es gibt unterschiedliche Wege, in Stromnetzen für erneuerbare Energien für Flexibilität zu sorgen: Batteriespeicher, Spitzenlastkraftwerke oder Kunden, die ihren Verbrauch anpassen. Wo liegen die Unterschiede zwischen implizit und explizit bereitgestellter Flexibilität auf Abnehmerseite, und wie können Kunden davon profitieren? Im The smarter E Interview steht Dr. Paul Troughton Rede und Antwort. Er ist Senior Director of Regulatory Affairs bei Enel X sowie Mitglied bei smartEn Europe, einem europäischen Unternehmensverband, der sich für den Einsatz verbraucherorientierter Lösungen im Rahmen der Energiewende stark macht.
Herr Troughton, bevor wir im Detail einsteigen, erklären Sie uns bitte kurz, was Flexibilität im Zusammenhang mit der Energiewende genau bedeutet, und welche Rolle die Verbraucher dabei spielen.
Flexibilität wird benötigt, um die Erzeugung und den Verbrauch von Elektrizität zu jeder Zeit ausgeglichen zu halten. Wenn variable erneuerbare Energien wie Windkraft oder Solarenergie in ein Energiesystem einfließen, sollte sowohl aus Umwelt- als auch aus wirtschaftlichen Gründen so viel von dem so erzeugten Strom wie möglich verwendet werden. Das gesamte restliche Energiesystem hat dann die Aufgabe, Diskrepanzen zwischen erzeugtem Strom aus erneuerbaren Energien und dem Energiebedarf zu kompensieren. Das bezeichnet man als Residuallast. Der Kraftwerkspark, der zur Deckung dieser Residuallast errichtet wird, unterscheidet sich von dem konventioneller Energiesysteme. Er ist insgesamt kleiner. Es wird weniger zusätzliche Kapazität benötigt, aber der Nutzungsgrad unterscheidet sich stark. Unter Umständen gibt es gar keine Grundlast, allerdings werden viel mehr flexible Anlagen benötigt.
Flexibilität kann aber auch auf andere Art erreicht werden. Statt Änderungen auf Versorgerseite vorzunehmen, kann sich auch die Abnehmerseite anpassen. Das ist genauso effektiv. Ein Kunde, der seinen Energieverbrauch anpassen kann, sorgt genauso für Flexibilität wie wenn ein Energieerzeuger es tun würde. Manchmal ist das sogar besser. Solche Kunden können entsprechend schnell reagieren, wie es für einige Systemdienstleistungen notwendig ist, z. B. bei der Frequenzhaltung.
Wie sieht der ideale Kunde bzw. ein typischer Kunde denn aus?
Der ideale Kunde, der auf Abnehmerseite Flexibilität bereitstellen kann, ist ein großes Tiefkühllager. Denn die Kühlgeräte dort müssen zwar über lange Strecken in Betrieb sein, aber nicht durchgängig. Man kann sie zwischendurch abschalten und trotzdem bleibt es ein paar Stunden lang kalt genug, denn sie sind gut isoliert. Auf diese Art kann der Stromverbrauch der Kühlhalle um mehrere Stunden verlagert werden. Damit handelt es sich um eine sehr flexible Ressource, deren Flexibilität den entsprechenden Kunden nichts kostet. Er muss lediglich Steuerungssysteme einrichten, die sicherstellen, dass das Ganze sinnvoll umgesetzt werden kann. Grundsätzlich können aber alle industriellen Prozesse kurzfristig unterbrochen werden.
Inwieweit spielt Speicherung für die Flexibilität eine Rolle?
Speicherung ist sehr schnell und einfach zu steuern. In den meisten Fällen ist sie eine bessere Lösung als das, was wir über flexible Kunden erreichen können. Daher kommt es nicht überraschend, dass die meisten Betreiber sich mehr Speicherkapazität für ihre Anlagen wünschen. Wer einen Batteriespeicher oder ein zusätzliches Kraftwerk einsetzt, investiert gleichzeitig Kapital in eine Anlage, mit der derartige Dienstleistungen angeboten werden können. Für die Flexibilität auf Abnehmerseite muss nichts Neues gebaut werden. Hier geht es darum, bereits vorhandene, geeignete Anlagen zu identifizieren und diese intelligenter zu nutzen. Es wird Flexibilität aus etwas bezogen, das bereits da ist. Wirtschaftlich gesehen ist das eine ganz andere Herangehensweise.
Was ist die größte Herausforderung dabei, Verbraucher zur Teilnahme zu bewegen?
Die größte Herausforderung liegt darin, Verbraucher zu überzeugen, dass dies umsetzbar ist. Wenn man Kunden finanzielle Vorteile dafür bietet, dass sie sich beim Energieverbrauch ein bisschen flexibel zeigen, ist die Reaktion meistens die gleiche: Das können wir nicht. Dass wäre eine Katastrophe für unser Unternehmen. Unsere Herausforderung ist es deshalb, bei solchen Anfangsvorbehalten Überzeugungsarbeit zu leisten. Dafür verwenden wir einen Großteil unserer Zeit. Wenn wir einmal festgestellt haben, welche Flexibilität möglich ist und diese beziffern können, müssen wir herausfinden, wie die höchste Wertschöpfung erzielt werden kann. Kann der Übertragungsnetzbetreiber oder der Verteilnetzbetreiber profitieren? Liegen die Vorteile bei der Kapazität oder bei häufigerer Verlagerung? Kann die Flexibilität extrem schnell für Frequenzgänge unterhalb einer Sekunde genutzt werden? Das ist gerade bei kleinen Stromversorgungssystemen mit einem hohen Anteil erneuerbarer Energien und damit geringem Trägheitsmoment wichtig.
Beim Thema Energiewende läuft es doch meistens irgendwie darauf hinaus, dass die Regulierungsbehörden mitspielen oder nicht. Was müsste in diesem Kontext gesetzlich geregelt werden, um auf Abnehmerseite Flexibilität zu fördern und diese besser in das Energiemarktdesign einzubinden?
Wenn man sich vor Augen führt, was man sich in vielen Branchen von Regulierungsbehörden, Regierungen und Entscheidungsträgern vor allem erhofft, dann sind das doch Fördermittel. Das Schöne an Flexibilität auf Abnehmerseite ist jedoch, dass diese per se dermaßen kostengünstig ist, dass es gar keiner Förderung bedarf. Hier geht es ausschließlich darum, Wettbewerb zu ermöglichen. Wenn hier mehr oder weniger Wettbewerbsgleichheit herrscht, dann sollte die Kosteneffizienz der Flexibilität auf Abnehmerseite dazu führen, dass diese für alle Beteiligten lukrativ ist, da eine Dienstleistung so kostengünstiger angeboten werden kann als es sonst möglich wäre.
Sie sprechen von Wettbewerbsgleichheit. Was meinen Sie damit ganz praktisch?
Es gibt den Ansatz der Technologieneutralität, bei dem Betreiber verpflichtet sind, Dienstleistungen technologieneutral anzubieten. Allerdings greift Technologieneutralität nicht immer weit genug. Wenn beispielsweise Produkt- und Marktdesign auf die Anforderungen und Fähigkeiten einer Gasfeuerungsanlage ausgerichtet sind, dann bringt es wenig, jemandem mitzuteilen, dass er am Markt mitmischen darf, allerdings nur mit genau den gleichen Merkmalen wie eine Gasfeuerungsanlage. Das ist dann keine Wettbewerbsgleichheit. Deswegen geht es hier um einen ganz neuen Ansatz im Produktdesign, bei dem statt auf Technologieneutralität auf Technologieoffenheit gesetzt wird. Das bedeutet, dass das Produktdesign proaktiv vereinfacht wird, damit theoretisch jede Art von Technologie bei der Dienstleistungserbringung wettbewerbsfähig ist.
Ist der von Ihnen beschriebene Ansatz die einzige Lösung oder gibt es noch weitere Konzepte, mit denen man sich beschäftigen sollte?
Der bislang beschriebene Ansatz wird oft als explizit bereitgestellte Flexibilität auf Abnehmerseite bezeichnet. In diesem Zusammenhang werden Ressourcen auf Abnehmerseite genutzt, um in den direkten Wettbewerb mit Energieerzeugern zu treten und die gleichen Dienstleistungen anzubieten. Dahinter steht das Konzept, dass der Markt so aufgestellt ist, dass wir für das Anbieten dieser Leistungen genauso bezahlt werden können wie diese Energieerzeuger auch.
Es gibt allerdings noch einen anderen Ansatz, zumindest beim Ausgleich des Energieangebots, nämlich implizit bereitgestellte Flexibilität auf Abnehmerseite. Dabei wird der Kunde nicht für die Erbringung einer „Dienstleistung“ bezahlt, sondern an zeitvariable Tarife gebunden. Die Erwartung ist dabei, dass das Verhalten entsprechend angepasst wird, um die Kosten für den Bezug von Energie möglichst gering zu halten. Für viele Entscheidungsträger in Wirtschaft und Politik ist das ein sehr attraktives Konzept. So sollte eine einfache Marktlogik funktionieren. Ich halte diesen Ansatz allerdings für nicht so sinnvoll, wenn wir es mit Extremsituationen zu tun haben.
Ein Beispiel für eine implizite Demand-Response, die nicht ganz so funktioniert hat, wie man sich das erhofft hatte, sind die Schneestürme in Texas im Februar. Hier kam es zu massiven Stromausfällen, vor allem deshalb, weil einige Gasanlagen nicht wetterfest gebaut waren bzw. die Nachfrage nach Gas zu hoch war. Das wiederum hatte zur Folge, dass der Spotpreis in schwindelerregende Höhen kletterte und sich zeitweise auf mehrere Tausend Dollar pro Megawattstunde belief. Davon waren viele Kunden betroffen, die an den Spotpreis gebunden sind und Strom zu Echtzeitpreisen beziehen. Das sorgt zwar dafür, dass der Anreiz extrem hoch ist, effizientes Balancing zu betreiben. In der Praxis waren aber viele Kunden nicht in der Lage, ihren Stromverbrauch als Reaktion auf die Preise flexibel anzupassen. Jetzt beschweren sie sich, dass sie für ein paar Tage Strom enorme Rechnungen zu begleichen haben und ihnen die Insolvenz droht. Die Moral von der Geschichte ist daher die, dass zeitvariable Tarife in Abhängigkeit vom Spotpreis eben doch nicht zwingend für mehr Flexibilität sorgen.
Dieses Interview ist ein Auszug aus einer Folge des The smarter E Podcasts. Das vollständige Interview auf Englisch können Sie hier anhören.
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