Experteninterview – "Deutschland darf bei Smart Metern nicht den Anschluss verpassen"

Experteninterview – 5. Oktober 2021

Interview mit Anne Köhler, Leiterin Gas, Dekarbonisierung und digitale Energiewende beim Bundesverband Neue Energiewirtschaft (bne)

Im Energiesystem der Zukunft kann jeder eine aktive Rolle übernehmen, in dem er etwa seinen selbst erzeugten Strom gewinnbringend verkauft oder seine Wärmepumpe als Flexibilität zur Verfügung stellt. Dafür braucht es jedoch intelligente Messsysteme mit Smart-Meter-Gateway. Anne Köhler vom bne erklärt im Interview, welche neuen Geschäftsmodelle Smart Meter ermöglichen und wie der aktuelle Stand in Deutschland ist.

Anne Köhler, bne

Die Digitalisierung gehört zu den Megatrends unserer Zeit. Wo sehen Sie die größten Chancen für die Energiewende?

In einem System mit wachsendem Anteil erneuerbarer Energien wird es unerlässlich, Stromerzeugung, -speicherung, -handel und -verbrauch sekundengenau und automatisiert aufeinander abzustimmen. Das geht nur mit einer modernen und intelligenten digitalen Infrastruktur. Bisherige Mess- und Steuerungstechnologien sind zu träge und zu teuer - insbesondere für die Vielzahl von kleinen dezentralen Anlagen: Photovoltaik-Erzeugung auf Gebäuden, Wallboxen zum Laden von Elektromobilen zu Hause sowie Wärmepumpen und Batteriespeicher. Deren umfassende Nutzung ist essentiell für eine erfolgreiche Energiewende. Über intelligente Messsysteme lassen sich diese einzelnen Anlagen „smart“ vernetzen. Dabei stellen die sogenannten Smart-Meter-Gateways (SMGW) einen sicheren Kommunikationskanal her, über den die jeweils nötigen Messdaten und Steuersignale ausgetauscht werden. So ermöglicht die bedarfsgerechte Steuerung den schnelleren Ausbau der dezentralen Erzeugung aus erneuerbaren Energien und erleichtert die Netzintegration der Elektromobilität. Die von den SMGW bereitgestellten Messdaten sind nicht zuletzt der Schlüssel für innovative Geschäftsmodelle, die dazu beitragen, dass sich Verbraucher als aktive Kunden am Energiemarkt beteiligen können.

Wo sehen Sie genau neue Geschäftsmodelle?

In der Vergangenheit waren energiewirtschaftliche Geschäftsmodelle meist linear strukturiert: Der Stromlieferant kaufte Strom beim Erzeuger und lieferte diesen über das Netz an den Verbraucher. Ganz anders in der digitalen Energiewirtschaft, in der die Rollen und Aufgaben zum Teil neu gemischt werden. Anstatt den Energieverbrauch einmal im Jahr zu messen, verschafft die zeitnahe Messdatenbereitstellung durch den Messstellenbetreiber sowohl privaten Haushalten als auch Unternehmen einen besseren Überblick über ihren Strom- und Gasverbrauch. Auch Stromnetzbetreiber können aufgrund der verbesserten Datenlage den Zustand ihres Verteilnetzes zu jeder Zeit viel genauer einschätzen und dadurch sowohl beim kurz- als auch langfristigen Engpassmanagement präziser vorgehen. Das senkt die Kosten für alle Beteiligten und entlastet auch die Netzentgelte. Sobald der rechtliche Rahmen hierfür geschaffen ist, können Verbraucher als aktive Kunden die Flexibilität aus ihrem Batteriespeicher, Wärmepumpe oder E-Mobil dem Netzbetreiber zur Verfügung stellen und für ihr netzdienliches Verhalten mit einem reduzierten Netzentgelt entlohnt werden.

Gerade im Bereich der Elektromobilität ist eine Vielzahl von Angeboten und Geschäftsmodellen zu erwarten. Ein Beispiel: Für Unternehmen, die eine eigene Flotte an E-Fahrzeugen betreiben, kann es von Vorteil sein, die Strommengen, die außerhalb des Unternehmenssitzes an öffentlichen Ladepunkten für die unternehmenseigenen E-Fahrzeuge bezogen worden sind, zentral zu erfassen. Auf Basis der gebündelten Mengenerfassung können die benötigten Strommengen zu günstigen Konditionen oder auch in einer bestimmten Qualität, etwa als Ökostrom beschafft und einheitlich abgerechnet werden.

Und wo steht Deutschland heute beim Rollout im europäischen Vergleich?

Leider verhindert der regulatorische Rahmen in Deutschland momentan eher die Innovationen, die wir am Markt und im Ausland längst beobachten. Das Messstellenbetriebsgesetz schreibt den Smart-Meter-Rollout in einer so überkomplexen Art und Weise vor, dass der Einbau der vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zertifizierten Smart-Meter-Gateways sehr spät und mit sehr begrenztem Leistungsumfang begann. Vor allem fehlen noch die Messdaten in Echtzeit und die Steuerungsfunktion, auf die es ja gerade ankommt. Andere Länder sind mit dem Smart-Meter-Rollout sehr viel weiter, allen voran Schweden, Italien, Finnland, Malta und Spanien. In Österreich und Frankreich ist die Einführung der digitalen Zähler ebenfalls sehr weit fortgeschritten.

Woran liegt es, dass Deutschland beim Smart-Meter-Rollout zurückliegt?

Der ganze Zertifizierungsprozess war von Anfang an zeitraubend und weder auf die Anforderungen des Marktes noch auf die Wünsche der Kunden ausgerichtet. Um nicht noch mehr Zeit und den Anschluss an den internationalen Markt zu verlieren, fordert der bne daher eine Öffnung des Messstellenbetriebsgesetzes für innovative Messsysteme und -lösungen sowie die Beschränkung der gesetzlichen und behördlichen Vorgaben auf grundlegende Mindestanforderungen. Denn es gibt ja heute bereits freie, d.h. nicht BSI-zertifizierte Messsysteme, die vergleichbare Anforderungen zu Sicherheit, Eichrecht und Datenschutz erfüllen und internationalen oder Industriestandards entsprechen. Zugleich liefern sie jene Funktionen, die wir für die skizzierten Anwendungen brauchen.

Was müsste die nächste Bundesregierung für den Durchbruch bei der Digitalisierung der Energiewende tun?

Der Teufelskreis von zu spät, zu teuer, zu komplex und in der Sache nicht ausreichend muss endlich durchbrochen werden. Wir brauchen einen grundlegenden Neuaufsatz des Messstellenbetriebsgesetzes mit schlankeren Vorgaben und schnelleren Prozessen, die zudem Innovationen ermöglichen und einbeziehen. Die Politik muss sich darauf konzentrieren, konkret und einfach Mindestanforderungen an Datenschutz und -sicherheit zu definieren, anstatt eine Vielzahl von Details zu regeln. Um Energieeinsparungen unkompliziert auch bei Verbrauchern ohne Flexibilitätspotential zu erschließen, muss das Messstellenbetriebsgesetz außerdem eine kostengünstige Basistechnologie mit Kommunikationsanbindung zulassen. Für die Energiewirtschaft heißt das, der Startschuss für einen echten Flexibilitätsmarkt rückt näher und liefert damit die große Chance, Geschäftsmodelle in einem Wachstumsmarkt anzubieten.

Und wie steht es um die Akzeptanz von Smart Metern bei den Verbrauchern?

Entscheidend ist, dass Smart Meter schnell ihr Potenzial entfalten können und die Kosten mit einem echten Mehrwert für die Verbraucher einhergehen. Mit anderen Worten: Die BSI-zertifizierten Messsysteme müssen endlich auch die in Aussicht gestellten, für die Energiewende wichtigen Funktionen liefern. Der Wettbewerb im deutschen Strommarkt ist stark preisgetrieben und Verbraucher können inzwischen aus einer Vielzahl von Anbietern, Stromqualitäten und Tarifmodellen wählen. Eine erfolgreiche Vermarktung der intelligenten Messsysteme wird sich daher vor allem über solche Produkte und Lösungen für Strom, Wärme und Mobilität entscheiden, die echte Kundenbedürfnisse ansprechen.

Im bne-Leitfaden „Geschäftsmodelle und Rechtsrahmen der digitalen Energiewende“ erhalten Sie einen umfassenden Überblick zum Thema Smart Metering.

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