Auch in der Schweiz bringt die Energiewende einige Herausforderungen für die Energieversorger mit sich. Die Schweizer BKW AG hat darauf schon früh mit einer Drei-Säulen-Strategie reagiert und neben den Geschäftsfeldern Energie und Netze einen umfangreichen Dienstleistungsbereich aufgebaut. Aktuell treibt das Unternehmen die Digitalisierung mit der Installation von 400.000 Smart Metern voran und beschleunigt mit Hilfe künstlicher Intelligenz Aufgaben rund um Netzausbau und Netzanschluss.
Herr Lenzin, mit welchen Herausforderungen haben Energieversorger in der Schweiz zu kämpfen?
Es gibt in der Schweiz rund 600 Versorgungsunternehmen mit unterschiedlichen Ausgangslagen und Herausforderungen. Vom überregionalen Versorger mit eigener Strom- und Wärmeproduktion bis zum Dorfnetz ohne eigene Erzeugung ist das Spektrum groß. Bezüglich Versorgungssicherheit steht die Schweiz insbesondere vor dem Problem der sogenannten Winterlücke, also dem Importbedarf in den Wintermonaten. Angesichts des steigenden Strombedarfs und des fehlenden Stromabkommens mit der EU wird diese Herausforderung in den kommenden Jahren eher noch zunehmen. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht sahen sich Versorger mit großen Produktionskapazitäten bis vor kurzem mit tiefen, teilweise unter den Gestehungskosten liegenden Marktpreisen für Strom konfrontiert. Umgekehrt kämpfen Versorger ohne eigene Produktion seit Spätherbst 2021 mit volatilen und teils sehr hohen Preisen.
Was hat Ihr Unternehmen gemacht, um auf die Herausforderungen zu reagieren?
Auf die damals absehbar tiefen Strompreise hat die BKW um den Jahreswechsel 2012/2013 mit einer neuen Strategie reagiert: Neben den bisherigen Geschäftsfeldern Energie und Netze wurde der Dienstleistungsbereich als drittes Standbein auf- und ausgebaut. Diese Drei-Säulen-Strategie hat uns die nötige Robustheit und Resilienz verschafft, um die Energiekrise und die Turbulenzen auf den Energiemärkten zu meistern. Nun ist das Unternehmen bestens für die Zukunft aufgestellt. Die BKW investiert in den Zubau an erneuerbaren Energien, entwickelt ihr Netz weiter für die neue Energiewelt und plant und baut energieeffiziente Gebäude sowie ressourcenschonende Infrastrukturen.
Gibt es besondere Leuchtturm-Projekte, die Sie nennen können?
Das umfassende Geschäftsmodell mit den drei Säulen Energie, Netze und Dienstleistungen unterscheidet uns klar von den meisten anderen Versorgungsunternehmen in der Schweiz. Über Leuchtturmprojekte verfügt die BKW sogar in allen drei Bereichen. Zu nennen ist etwa BelpmoosSolar, die derzeit größte Freiflächenanlage der Schweiz, die zusammen mit dem Flughafen Bern geplant wird. Als größter Verteilnetzbetreiber der Schweiz treibt BKW auch die Digitalisierung des Stromnetzes voran. In den kommenden Jahren werden mehr als 400.000 Smart Meter installiert. Das sind rund 500 Geräte pro Tag. Das Unternehmen plant zudem nachhaltige Gebäude wie das EDGE ElbSide in Hamburg, das verbrauchsoptimiert gebaut und mit erneuerbaren Energiequellen betrieben wird.
Ein Angebot der BKW ist das sogenannte Home Energy. Was machen Sie da genau?
Home Energy ist ein modulares Energiesystem und ist auf private Hauseigentümer ausgerichtet. Modular bedeutet, dass sich Kundinnen und Kunden das Energiesystem nach eigenen Bedürfnissen zusammenstellen und später auch ausbauen können. Die Module umfassen Solaranlagen, Wärmepumpen, Stromspeicher, Ladestationen und das Energiemanagement. Im Fokus der Kundinnen und Kunden steht aktuell vor allem die eigene Solaranlage. Die BKW übernimmt die Beratung bezüglich Produkte, prüft die technische Machbarkeit, erstellt Pläne und realisiert die Anlage mit ihren Konzerngesellschaften, inklusive Anschluss ans Stromnetz.
Wie steht es in der Schweiz mit dem Netzausbau und der Digitalisierung – auch im Vergleich zu Deutschland?
Die Herausforderungen und gesetzlichen Rahmenbedingungen in den Verteilnetzen der beiden Länder sind sehr ähnlich. Deutschland steht aber vor der Herausforderung, die große Windproduktion im Norden via Übertragungsnetz zu den Verbrauchszentren im Süden zu transportieren. Die Energiewende bedingt überall einen massiven Netzausbau. So erwartet das Bundesamt für Energie im Basisszenario für die Schweiz rund 30 Milliarden CHF Ausbaukosten – das sind jährlich 70 Prozent höhere Investitionen, als heute ohnehin getätigt werden. Um den Netzausbau rasch und kosteneffizient auszugestalten, braucht es eine entsprechende Anpassung der Regulierung.
Zudem ist das abgestimmte Zusammenspiel aller Akteure im elektrischen Gesamtsystem sowie dessen Digitalisierung unabdingbar für die Energiewende.
Das stimmt. Mit ihrem individuellen Verhalten beeinflussen die Kundinnen und Kunden quasi den Ausbaubedarf des Verteilnetzes. Daher stellen steuerbare PV-Erzeugung, Speicher und Gebäudeautomation einen der größten Hebel dar. Ebenso wichtig ist aber auch die Digitalisierung der Netzinfrastruktur. In diesem Bereich ist die BKW führend. Dank hoher Datenqualität, künstlicher Intelligenz und genetischen Algorithmen plant sie unter anderem den Netzausbaubedarf automatisiert. Sie nutzt dafür die sogenannte Robotic Process Automation. Diese sorgt für eine rasche Bearbeitung der Anfragen für Netzanschlüsse und nutzt künstliche Intelligenz für diverse Analysen, etwa im Bereich der Stromleitungs-Inspektionen.
Sie haben das Start-up Energy Solutions gegründet. Warum?
Ende 2019 hat die BKW mit der LTB Leitungsbau GmbH eines der Top-Vier-Unternehmen in Deutschland im Bereich Leitungsbau übernommen. Mit dieser Akquisition hat sie den Grundstein gelegt für die Entwicklung der BKW Infra Services Europa SE als Gesamtdienstleistungsunternehmen im Energiemarkt in Deutschland und Österreich. Die BKW Energy Solutions GmbH leistet als Systemintegratorin sowie als Generalunternehmerin einen wichtigen Beitrag in der Planung und dem Bau von Schaltanlagen sowie anderen Anlagen des Hochspannungsnetzes, wie etwa Speicher und Kompensationsanlagen.
Sie sind Aussteller auf der EM-Power Europe 2023. Warum ist die Messe für Sie wichtig und was erwartet die Besucher an Ihrem Stand?
Wir sind erstmals mit einem eigenen Stand auf der EM-Power. Dafür gibt es mehrere Gründe. Die BKW hat sich als strategische Stoßrichtung dem Ausbau ihres PPA-Portfolios verschrieben. Im Bereich der klassischen Direktvermarktung ist die BKW bereits eine bekannte Größe im Markt. Nun will sie auch im PPA-Bereich eine große und verlässliche Partnerin werden, sowohl auf der Up- als auch auf der Downstream-Seite. Hierfür ist die EM-Power ein zentraler Dreh- und Angelpunkt, weil sich dort die Branche der Erneuerbaren trifft. Auf unserem Messestand werden Spezialistinnen und Spezialisten für die verschiedenen Länder präsent sein und maßgeschneiderte Lösungen für PV-Anlagenbetreiber zeigen. Außerdem kann die BKW auf dieser Messe ihre jahrzehntelange Expertise in der Vermarktung und Optimierung flexibler Assets präsentieren.
Vielen Dank für das Interview, Herr Lenzin!